Geist & Seele

Auge um Auge

Verzeihen, lieben, welch hohe Ideale. Das gelingt leicht bei Kleinigkeiten, aber dann, wenn es schwerwiegender wird oder wenn es uns oder unseren Lieben gar an den Kragen geht – wie sieht es dann aus mit dem Verzeihen? Wie leicht fällt es uns dann zu lieben? Obwohl es so klar ist – Dunkelheit kann nur durch Licht vertrieben werden. Und so wie Bertha von Suttner einmal gesagt hat, würde kein vernünftiger Mensch Tintenflecke mit Tinte entfernen. Warum tun wir es dann?

Es gab zu allen Zeiten herausragende Persönlichkeiten, welche ihren Feinden mit wohlwollender Liebe begegneten. Woher nahmen sie die Kraft dafür? Wieso waren sie imstande so etwas zu tun? Die Antwort ist ganz einfach: weil sie erkannt haben, was wahr ist. Sie haben erkannt, dass alles im Grunde eins ist. „Das, was du dem Geringsten meiner Brüder (an)tust, hast du mir getan. Ich und der Vater sind eins.“ Diese Wahrheiten klingen in uns nach. Es lässt sich einfach nicht trennen. Sowie ein Baum verschiedene Blätter hervorbringt, sind wir doch alle aus einer Pflanze, vom selben Ursprung, vom Licht. Der Urgrund unserer Seele ist gleich.

Was sind wir wirklich?

Das ist eine sehr philosophische Frage. Aus der Sicht des Yoga ist die Beantwortung dieser allerdings sehr klar. Manchmal tendieren wir dazu, uns allzu sehr mit unserem Körper zu identifizieren. Wir sagen oder denken: „Das bin ich.“ Aber ist das wirklich so? Sind wir das? Dieser Körper, der allzu großen Veränderungen unterworfen ist, der heute so aussieht und noch vor zehn Jahren ganz anders, der einmal gesund ist, einmal erkrankt. Sind wir das wirklich? Wenn wir jung und gesund sind, fühlt sich eine Identifikation mit dem Körper nicht so falsch an. Da machen wir uns oft keine großen Gedanken darüber, aber wie sieht es aus, wenn der Körper mal nicht so will? Wenn er schmerzt, müde ist, erschöpft ist, altert. Dann zu sagen „ich bin der Körper“, fühlt sich nicht so gut an. Da gibt es doch noch mehr. Genauso mit unseren Gedanken und Gefühlen. Wir haben Gedanken und Gefühle, wir sind diese jedoch nicht. Wir haben einen Körper. Wir sind „das“ nicht. Wie können sich die Yogis da so sicher sein?

Ganz einfach

Immer dann, wenn ich etwas beobachten kann, kann ich das nicht sein. Ich kann meinen Körper beobachten, ich kann meine Gefühle und Gedanken beobachten. Also bin ich das nicht. Es gibt noch etwas, das hinter dem Körper, den Gedanken, den Gefühlen steht. Aber was ist das? Aus yogischer Sicht ist das unsere Seele, der Teil in uns, der sich mit dem Höchsten verbindet – mit dem, der das Höchste ist. Unser wahrer Kern, unser wahres Wesen. Die Liebe, der Frieden, die Einheit. Wenn es uns gelänge, uns mit dieser Wahrheit dauerhaft zu verbinden, um wieviel friedvoller und segensreicher wäre unser Leben? Wenn wir wüssten, verinnerlicht hätten, egal was wir machen, diese Wahrheit bleibt gleich? Sie ist unantastbar. Auf dieser Ebene sind wir alle gleich. So wie neugeborene Babys voller Unschuld und Liebe.

Mutterliebe

Mütter lieben ihre Kinder so: Die Qualität einer Mutter ist Liebe und Vergebung. Bedingungslose Liebe, welche unter allen Umständen besteht. In das Herz der Mutter kannst du immer nach Hause kommen. Eine Umarmung von ihr heilt. Liebe ist das Einzige was ist. Wir müssen uns jenen, die uns nichts Gutes wollen, nicht zwingend aussetzen, aber wir müssen sie lieben. Diese Liebe heilt alles, was der Heilung bedarf – vor allem in uns selbst. Denn bist du schon mal drauf gekommen, dass immer wenn du ein Problem hast, du dabei bist? Es rührt etwas in dir an, das der Heilung bedarf. Etwas, wozu du die Gelegenheit erhältst, es anzuschauen und zu heilen. Wo du mehr Liebe, Verständnis und Fürsorge hinbringen kannst. Mutter Teresa sagte einmal: „Anfangs glaubte ich, bekehren zu müssen. Inzwischen habe ich gelernt, dass es meine Aufgabe ist, zu lieben. Und die Liebe bekehrt, wen sie will.“ Wie einer Mutter obliegt es uns, bereit zu sein, dieses unschuldige Kind in uns und anderen zu sehen, das unter allen Umständen zurückkehren darf in den Schoß, in die Umarmung der Mutter und dort willkommen ist. So können wir alle, ob biologisch oder nicht, ein bisschen Mutter sein.

Beginnen wir mit jenen, die uns am meisten herausfordern

Denn dort brauchen wir es am nötigsten. Einfach geistig – ohne große Taten. Nur da sein und lieben. Zorn kann ein Werkzeug sein, um entweder Angst oder Liebe zu steigern, je nachdem, wie wir uns entscheiden. Unsere Rolle besteht nicht darin, jemand anderen zu verändern oder uns vor jemandem rechtzufertigen. Das unterstützt erst recht den Gedanken, dass der andere von mir oder Gott, der Liebe, dem Universum getrennt wäre. Immer dann, wenn wir andere zu Monstern machen, schaffen wir künstlich eine Kluft, eine Ausrede, weniger lieben zu müssen. Wir stellen uns auf ein Podest und erniedrigen den Anderen. Das ist ein Gedanke der Trennung. Er wertet das Gegenüber ab und lässt uns im Gegenzug isoliert und einsam dastehen. Es ist kein Gedanke der Einheit und wird deshalb nie zu einem positiven Resultat führen können. Trennung ist nur eine Illusion. Sie ist nicht Wirklichkeit. Es geht nicht darum sich eine Situation schön zu reden oder unter den Teppich zu kehren. Wir können unsere Gefühle diesbezüglich ruhig zulassen. Nicht die Gefühle sind das Problem, sondern manchmal unser Umgang damit. Befreien wir uns einfach von der Illusion, dass diese Situation von Gott und der Liebe getrennt ist. Halten wir die Vorstellung aufrecht, dass alles bereits aufs Beste gelöst ist. Dieser Gedanke ist letztlich für uns und die gesamte Situation wesentlich zuträglicher. Mutter Teresa hat auch gesagt: „Wenn du Menschen verurteilst, hast du keine Zeit mehr sie zu lieben.“ Und letztlich wollen wir doch alle dasselbe.

Wir wollen glücklich sein, sicher und geliebt.

Es geht dabei nicht darum, etwaige nicht rechtschaffende Taten gutzuheißen. Es geht nicht darum, zu sagen, du darfst alles mit mir machen, ich setze mich dem aus. Nein – ganz und gar nicht! Manchmal ist Liebe sehr klar und zeigt die Grenzen. Man muss die Tat nicht gutheißen, um dem Menschen zu verzeihen, um den Menschen zu lieben oder um die Kraft zu finden, die kindliche Unschuld und Liebe in ihm bereit sein zu sehen, die einfach in Angst umgeschlagen und zu leidbringenden Handlungen geführt hat. Man muss nicht alles befürworten, um die Kraft zu finden, den Menschen zu umarmen und zu lieben – um die Kraft zu finden, in sich diesen Teil zu finden, der einmal ebenso verängstigt und verloren war, vielleicht sogar ähnlich agiert hat und ihn gleich mit zu umarmen. Fehler brauchen Korrekturen, keine Bestrafungen. Schmerz reicht tief, aber letztlich vergeht er. Liebe aber bleibt.

- Daniela Cerny -

Die Autorin
Daniela Cerny, Yogalehrerin und Trainerin
Tel.: +43 (0)676 / 61 343 55
E-Mail:
www.yogaengel.at