Körper & Gesundheit

Alleinsein heißt nicht einsam sein

„Betrachte die Einsamkeit als ein Leuchten, ein reines Licht, das sich aus sich selbst nährt, außerhalb der Welt und dennoch in ihrem Mittelpunkt.“

In unserer Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten ein gravierender Wandel vollzogen. In wenigen Sekunden kann man via E-Mail, SMS oder Handy miteinander kommunizieren, diverse Plattformen sind zu Begegnungsstätten geworden. Trotz dieser scheinbar günstigen Lebensumstände klagen immer mehr Menschen über das Alleinsein und das daraus resultierende Gefühl der Einsamkeit. Alleinsein und Einsamkeit werden häufig in einem Atemzug genannt und miteinander verwechselt., sind aber zwei verschiedene Seinszustände. Alleinsein ist zunächst eine neutrale Situationsbeschreibung. Wenn wir alleine sind, ist das ein Zustand, der sich dadurch auszeichnet, dass da kein anderer Mensch bei uns ist. Das kann individuell gesehen positiv oder auch negativ sein. Alleinsein kann ein Moment sein, den wir bewusst wählen, um uns zu ordnen oder um Abstand zu finden. Zeit zum Innehalten zu haben, um eine Lebenssituation zu verändern, zum sich neu entdecken und ausprobieren. Einsamkeit hingegen ist vor allem ein Gefühl, mit dem wir die Situation, in der wir sind – nämlich alleine zu sein – negativ bewerten. Einsam können wir uns im Alleinsein fühlen, aber auch, wenn wir unter Menschen sind. Einsamkeit ist eher ein tiefer Schmerz darüber, dass wir uns niemandem wirklich nahe fühlen und mit niemandem teilen können, was uns bewegt. Immer häufiger zeigt sich, dass Einsamkeitsgefühle auftreten können, obwohl man verheiratet ist, einen Beruf und / oder Kinder hat, von anderen gemocht wird und Hobbys pflegt. Viele Menschen haben Angst vor der Einsamkeit , der Vereinsamung oder der inneren Leere, nehmen sich aber meist nicht die Zeit herauszufinden, was sie wirklich bräuchten, um sich nicht so einsam zu fühlen. Negativ empfundene Einsamkeit kann durchaus körperlich krank machen wenn wir uns ihr ausgeliefert fühlen, wenn sie wie ein drohendes Gespenst auf uns lauert. Was genau sind aber die Ursachen von Einsamkeit, warum fühlen wir uns einsam und isoliert? Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass bestimmte negative Lebenseinstellungen und Glaubenssätze uns für Einsamkeitsgefühle empfänglich machen. Menschen, die sich einsam fühlen, glauben häufig auch, nicht liebenswert zu sein oder unbedingt einen Partner an ihrer Seite haben zu müssen, um glücklich zu sein. Das Gefühl, nicht liebenswert zu sein, entsteht sehr oft bereits in der frühen Kindheit. Wenn Kinder bereits in der Jugend Hänseleien über sich ergehen lassen müssen ohne etwas entgegen zu setzen. Wenn Eltern relativ zurückgezogen leben, keinen eigenen Freundeskreis pflegen, dann schauen Kinder auch häufig nur vom Fenster aus beim Spielen zu. Dieses nicht „dazu gehören“ fördert die Angst vor Ablehnung. Oft lehnt man sich selbst ab und wird dadurch sehr abhängig vom Lob und der Anerkennung von außen. Die damit verbundene Unsicherheit wird dann häufig hinter einem scheinbar arroganten Verhalten versteckt, das dann so überheblich wirken kann, dass immer mehr Isolation entsteht. So sprechen wir dann von Einsamkeit, wenn wir das Alleinsein als Ausgeschlossensein oder Verlassensein erleben. Einsamkeit richtig genutzt, kann auch der Start in ein besseres oder gemäßeres Leben sein. 50 Prozent aller Menschen haben Angst, im Alter alleine oder einsam zu sein. So ist auch nachzuvollziehen, warum immer mehr Singlebörsen wie Pilze aus dem Boden schießen. In Deutschland geht man zur Zeit von fast 20 Millionen Singles aus. Der Wunsch nach Beständigkeit und Intensität ist der Motor sich dort anzumelden. Die Sucht nach Perfektion und die Austauschbarkeit fördern mehr und mehr die Singlegesellschaft. Wir haben gelernt, schneller zu schlafen, nebenbei zu essen und viel produktiver zu arbeiten. Aber wir haben verlernt, mit uns und mit unseren Beziehungen in Balance zu leben. Diese Balance ist die Lösung dafür, auch im Alleinsein nicht einsam zu sein.

In allen Kulturen gibt es Rituale. Man kann sie durchaus als lebensnotwendig bezeichnen. Sie sind eine Art Seelennahrung, die uns immer zur Verfügung steht. Ein Ritual strukturiert unseren Alltag. Ein Ritual hat etwas Verlässliches und gibt einen inneren Halt. Entscheidend ist die Regelmäßigkeit, die Verlässlichkeit des Geschehens. Dadurch entsteht ein inneres Vertrauen, das uns trägt und die Seele weit macht. Immer wiederkehrende Abläufe geben dem Leben Struktur, schenken Geborgenheit. Kinder werden ruhig, wenn sie sich auf die tägliche Gutenachtgeschichte oder das Tischgebet verlassen können. In der Demenzbehandlung sind Rituale eine große Stütze und eine wichtige Orientierungshilfe.

Der Weg aus der beängstigenden Einsamkeit kann mit Hilfe von Ritualen gefunden werden. Der regelmäßige Gang 1-2 Mal pro Woche ins Fitnessstudio, der monatliche Kinobesuch, die Förderung des eigenen kreativen Potentials wie Zeichnen, Musizieren, Stricken u.v.m. verplant bewusst Zeit in unserem Leben. Zeit, in der wir lernen können, uns lebendig und kraftvoll zu fühlen. Auch der sonntägliche „Tatort“ als TV-Ereignis ist ein akzeptables Ritual, genauso wie die erste Tasse Kaffee am Morgen oder der Tee am Nachmittag. So können wir auf die Suche nach Ritualen in unserem Leben gehen oder uns neue schaffen, als solider und verlässlicher Anker.

- Jutta v. Recum -