Körper & Gesundheit

Der Umgang und das Leben mit der Angst

Wenn du Angst vor der Angst hast, kann sie dich überwältigen. Aber wenn du sie ruhig zu dir einlädst und ihr in Achtsamkeit zulächelst, wird ihre Stärke nachlassen. (Thich Nhat Hanh)

Ursprünglich ist Angst lebensrettend, weil sie uns daran hindert, uns in unkalkulierbare Gefahrensituationen zu begeben. Angst ist ein urmenschliches Gefühl und gehört zu den sinnvollen, sehr alten Stressreaktionen der Menschheit. Sie mobilisiert uns für Kampf oder Flucht und bewahrt uns vor Selbstüberschätzung. Wenn es ums Überleben geht, das heißt, wenn es begründete Angst gibt, reagiert unser Organismus mit der Ausschüttung bestimmter Hormone. Alle Reserven werden für den Notfall mobilisiert. Wir sehen dieses gleiche Phänomen bei einer Angstreaktion: Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol heben den Energiespiegel an. Unser Herzschlag und Blutdruck steigt in einer solchen Situation, die Muskulatur spannt sich an und wird verstärkt durchblutet. Zugleich wird die Blutzufuhr innerer Organe gedrosselt. Körper und Geist sind hochkonzentriert und leistungsbereit. Nach überstandener Gefahr klingt die Stressphase wieder ab.

Sigmund Freud bezeichnete das Angstproblem als ein Rätsel, dessen Lösung Licht auf das ganze Seelenleben werfen würde. Wenn wir Angst im Zusammenhang mit unseren Lebenserfahrungen verstehen, können wir auch die daraus entstandenen Denkmuster, Glaubenssätze und Verhaltensweisen besser verstehen und annehmen.

Spannend ist auch, dass wir erkennen, dass sie nicht nur unser eigenes Thema ist, sondern oft auch kollektiven Mustern entspringt. Ein Beispiel dafür ist die Traumatisierung der Kriegsgeneration, die noch bis in unsere Generation hinein reicht.

In unserem modernen Leben sind wir ständig mit Situationen konfrontiert, die Angst auslösen können, zum Beispiel Sorgen um Menschen, die uns nahe stehen, Geld- oder Arbeitsplatzverlust, Krankheiten, Prüfungen, Flugreisen oder auch Zahnarzttermine. Situationen können Angst auslösen, auch wenn keine reale unmittelbare Gefahr besteht. Es entwickeln sich viele Verhaltensweisen, die dazu dienen, Angst zu vermeiden. Ein Prozess, der meistens unbewusst gesteuert wird.

Jeder Mensch hat ein unterschiedliches Angstniveau, das in einem Angstnetzwerk in unserem Gehirn verankert ist. Dieses ist meist geprägt durch das im Kindesalter vorgelebte Verhalten und den Erziehungsstil im Elternhaus.

In den meisten Familien fällt es Eltern schwer zu ertragen, wenn ihre Kinder Angst haben. So versuchen sie laut einer Untersuchung der Psychologin Schmidt-Traub, ihren Kindern in allen Lebenslagen Unannehmlichkeiten zu ersparen. Es ist ihnen nur selten bewusst, dass sie damit ein kindliche Vermeidungsverhalten fördern. Das allerdings bedingt und fördert wiederum Angst und hält sie aufrecht. Daraus entwickeln sich im späteren Leben häufig andere Aspekte der Angst und der Angstsensibilität.

Es gibt drei große Gruppen von Angststörungen, die wir nach ihren Erscheinungsformen unterteilen.

1.Panikstörungen

Wir können das Wort „Pan“ auf den griechischen Gott zurückführen. Dieser konnte laut der Sage, Menschen mit seinem heftigen und lauten Auftreten in Angst und Schrecken versetzen.

Oft ohne ersichtlichen Grund überfällt die Betroffenen Panik mit Herzrasen, Schwindel, Übelkeit, Gliederzittern, verbunden mit Todesangst oder dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Eine Panikstörung liegt vor, wenn solche Situationen wiederholt auftreten, der Betroffene Furcht vor weiteren Attacken hat oder sich ihretwegen sein Verhalten deutlich ändert. Bei 20 bis 60 Prozent der Patienten kommt es zusätzlich zu Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.

2. Generalisierte Angststörungen

Die Angst verselbständigt sich, die Betroffenen leiden unter dem diffusen Gefühl einer ständigen Furcht. Dauernde Nervosität, Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühle oder Bauchbeschwerden sind Anzeichen der Krankheit. Außerdem können Anzeichen einer Depression auftreten, ebenso Zwangsstörungs- oder Phobiesymptome.

3. Phobien

Hier wird zwischen spezifischen Phobien wie z.B. Angst vor Hunden, Schlangen oder Spinnen und Sozialphobikern unterschieden. Diese scheuen sich vor Menschengruppen. Sie haben eine absolut unangemessene Angst sich vor Anderen zu blamieren. Sie vermeiden alle Situationen, in denen sie bloßgestellt werden können.

Agoraphobie bezeichnet die Ängste, die durch räumliche Konstellationen oder Orte ausgelöst werden. Dazu zählt die Angst vor großen Plätzen ebenso wie die Klaustrophobie (Angst eingesperrt zu sein z.B. im Lift) oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Sie haben das Gefühl, in einer Falle zu sitzen. Symptome wie Herzrasen, Kurzatmigkeit und Schwitzen treten dabei oft auf.

Posttraumatische Belastungsstörung
Ständiges Erschrecken, allgemeine Angstgefühle, Schlafstörungen sind Symptome dieser Erkrankung, die Folge traumatisierender Ereignisse wie Gewalterfahrungen, Missbrauch, Kriegserlebnisse. Das Erlebte taucht ständig quälend in der Erinnerung auf.

Angst ermöglicht Genialität
Das klingt zunächst absurd und doch befinden sich Menschen mit Angststörungen in prominenter Gesellschaft.

Sigmund Freud, Franz Kafka oder Vivaldi litten Zeit ihres Lebens an mehr oder minder ausgeprägter Angstsymptomatik. Die Sängerin Barbara Streisand trat aufgrund ihrer sozialen Phobie fast 20 Jahre lang nicht mehr in der Öffentlichkeit auf, der Schauspieler Dustin Hoffmann unterbrach seine Karriere immer wieder aufgrund von Panikattacken. Ebenso Woody Allen oder auch der Schriftsteller Bertolt Brecht. Charles Darwin hatte extreme Angst vor größeren Menschenmengen, Napoleon und Caesar grauste es vor Katzen.

Wie aber können dann Angststörungen die künstlerische Schaffenskraft fördern und Menschen zu Höchstleistungen treiben? In einem Journal für Psychiatrie und Neurologie wurde beschrieben, das Angst der Motor ist, perfektionistische Menschen zu Höchstleistungen anzuspornen. Angst setzt hier ein unendliches Energiepotential frei, um Spitzenleistungen zu erbringen. Die Angst davor, nicht von der Angst wegzukommen ist die Antriebsfeder.

Ziel und Wunsch eines jeden Menschen ist es, angstfrei auf seine Ressourcen Zugriff zu haben. Ohne zu verdrängen, den eigentlichen Auslöser finden, akzeptieren und damit umgehen lernen.

Um „ängstliche“ Anspannungen in Körper und Seele unter Kontrolle zu bekommen, bieten sich Entspannungstechniken wie Atemtherapie, Yoga, Autogenes Training oder Bioenergetik an. Bewegung in der Natur, Singen oder Meditation vermitteln mehr Leichtigkeit und führen zur inneren Balance. Mit der Zweispalten-Technik können wir Angstgedanken mit System korrigieren. In Spalte 1 führen wir den Angstgedanken, zum Beispiel „Ich kippe gleich um“ auf, in Spalte 2 setzen wir einen beruhigenden Gedanken etwa „Schwindelig war mir schon oft, ich bin aber nicht umgekippt“ dagegen.

So lernen wir Schritt für Schritt, die angstvollen Gedanken zur Ruhe zu bringen. Gleichzeitig suggerieren wir so dem Nervensystem „es ist ALLES in Ordnung“. Gedankenketten, die eine Panikattacke hochschaukeln, können wir so auffangen oder unterbrechen und durch eine neue und angstfreie Wahrnehmung unserem Leben eine neue Richtung geben.

- Jutta von Recum, Psychotherapeutin -